Das KISS-Prinzip

Posted on October 18th, 2012, October 18th, 2012 in Uncategorized.

Neulich in einem Plattenladen. Ja, Sie haben richtig gelesen: In einem Plattenladen. 20 Meter Plattengestelle, wie in den 70er-Jahren. Und davor Menschen jeden Alters. Eine LP kostet fast 30 Franken, viel mehr als eine CD oder das Herunterladen der gleichen Musik aus dem Internet. Aber die Scheibe ist zum Anfassen hat Gewicht, im wörtlichen Sinn. «180 Gramm Vinyl!» verspricht ein Aufkleber.

Platten boomen. Denn die Menschen sehnen sich nach einer konkret fassbaren Welt. Das haben auch Basler Wahlkämpfer erkannt. Sie wollen mit «neuer Einfachheit» punkten. Doch von «einfach» zu «hohl» ist es oft nur ein kleiner Schritt. (Bild: Daniel Wiener)

Es ist  Musik von früher. Leonhard Cohen, ABBA, Beatles, Jonny Cash. Aber auch Musik von heute. Beispielsweise das Album «21» von Adele, Jahrgang 1988. Alles ist neu produziert, eingeschweisst. Und die Kollektion wächst täglich. Ein 14-jähriger antwortet auf die Frage, weshalb er gleich drei dieser teuren Scheiben kauft: «Es tönt einfach besser.»

Der Drang zum Vinyl ist Ausdruck einer Sehnsucht nach dem Einfachen, Handfesten. Die digitale Kulisse, in der wir leben, überfordert uns mit stets neuen Gadgets, Apps und einem komplizierten Alltag. Der Mensch jedoch, ist analog wie eine LP. Manche verabschieden sich von Facebook. Dafür kaufen sie die neue Zeitschrift «A Simple Life». Das erdig-braun gefasste Heft hat vier Teile, die für sich selbst sprechen: Antiquitäten, traditionelles Wohnen, Geschichte und Museen.

Solche Stimmungen wirken sich auch auf die Wahlen aus. Die Öffentlichkeit will anscheinend simple Botschaften. Zum Beispiel: «Mehr Sicherheit für Basel-Stadt.» Dabei ist es egal, wie ein Kandidat dieses Ziel erreichen will. Hauptsache, er hält sich an das angelsächsischen KISS-Prinzip: «Keep It Simple, Stupid.»

Slogans scheren sich nicht um die Realität. Sie vermitteln Träume. Zum Beispiel: «Für ein Basel mit sicheren Finanzen, sicheren Arbeitsplätzen, sicheren Strassen und sicheren Plätzen.» Ich habe die Webseite des betreffenden, freisinnigen Kandidaten nach Ideen durchforstet, wie er diese Ziele erreichen will. Zu jedem der vier Stichworte gibt es etwa drei Sätze. Diese sind komplett frei von Fakten oder Analysen. Und so allgemein, dass sie jeder Sozialdemokrat unterschreiben könnte.

Ein Slogan ohne konkretes Programm dahinter signalisiert: Ich weiss, wie es geht. Ich nehme Euch die Sorgen ab. Schlau erdachte oder aufwändig erarbeitete Konzepte interessieren sowieso niemanden. Wenn Ihr mich wählt, könnt Ihr Euch wieder getrost Eurer Plattensammlung widmen.

Meine Stimme gebe ich Kandidierenden, die das Volk auch zwischen den Wahlen in Entscheidungen einbeziehen. Weil sie wissen, dass Politik nur mit Argumenten und im Dialog mit den Betroffenen erfolgreich ist. Auf die komplexen Probleme unserer Zeit gibt es keine einfachen Antworten. Sondern nur differenzierte, analoge, mit einem gelegentlichen Rauschen und Kratzen im Hintergrund, wie auf einer LP.

Dieser Beitrag reflektiert die Meinung der Autorin / des Autors und nicht zwingend diejenige der Redaktion.

Post a comment