Was London mit Basel zu tun hat

Posted on August 11th, 2011, August 11th, 2011 in Uncategorized.

Ueli Vischer, heute Präsident zahlreicher gewichtiger Institutionen, initiierte als Basler Finanzdirektor die «Werkstadt Basel». Mit diesem umfassenden Dialogprozess zapfte die Regierung das Erfahrungswissen der Bevölkerung an, um die städtische Lebensqualität zu verbessern. Der Schreibende durfte diesen Prozess mit gestalten. Als Resultat kam 1999 das «Aktionsprogramm Stadtentwicklung» (APS) heraus.

Der Begriff des «guten Steuerzahlers» wurde 1999 erfunden. Damals war Basel von Defiziten und Abwanderung geplagt. Eine Ansiedlungspolitik, die nur noch auf «gute Steuerzahler» zielt, er-schüttern die Grundlagen des Zusammenlebens.

Eine der 180 konkreten APS-Massnahmen, die verwirklicht wurden, war das Projekt «5000 Wohnungen für Basel». Diese sollten innert zehn Jahren realisiert werden, was beinahe gelang. Die Idee des Wohnungsbaus war eine logische Konsequenz aus dem Untertitel der «Werkstadt Basel». Dieser lautete: «Projekt zur langfristigen Sicherung der Steuereinnahmen von natürlichen Personen.» Deshalb war auch Ueli Vischer als Finanzdirektor Projektleiter.

Damals wurde erstmals thematisiert, dass man einen defizitären Staatshaushalt nicht nur mit rigorosem Sparen oder Steuererhöhungen ins Lot bringen kann. Die «Werkstadt Basel» wies einen dritten Weg: Das Anlocken Gutbetuchter durch bessere Lebensqualität in der Stadt. Das war die Geburtsstunde des Begriffs «guter Steuerzahler».

Die Strategie ist auch aus heutiger Sicht noch richtig, aber sie hat Grenzen. Eine Ansiedlungspolitik, die nur noch auf «gute Steuerzahler» zielt, erschüttern die Grundlagen des Zusammenlebens. Wer schöne und teure Logis baut, sollte im gleichen Takt auch schöne und günstige Wohnungen erstellen (oder stehen lassen), und zwar im gleichen Stadtteil, nebenan. Auch die Kinder ärmerer Menschen haben das Recht auf sichere Schulwege und begrünte Spielplätze. Überall, wo das Gleichgewicht im Wohnraum-Angebot fehlt, gibt es in den Schulen fast nur Schweizer oder nur Ausländer. Beides ist schädlich für den Zusammenhalt und die Produktivität einer Stadt.

Bei Novartis oder Roche wird «Diversität» nicht nur gefördert, sondern sie ist Chefsache. Kein Wunder: Sie ist ein Schlüssel zum Erfolg. Das gilt auch für Basel als Stadt. Was – umgekehrt – geschehen kann, wenn sich Gettos bilden, erleben wir gegenwärtig in London. Natürlich ist die Schweiz nicht 1:1 mit Grossbritannien vergleichbar, aber im Kleinen erleben wir täglich ähnliche Gewalt von Unzufriedenen und Unmotivierten.

Eine weitsichtige staatliche Vermietungs- und Liegenschaftspolitik, aber auch die kantonale «Wohnraumentwicklungsstrategie» (das Wort habe nicht ich erfunden) können wesentlich helfen, Diversität zu ermöglichen und sozialen Problemen vorzubeugen, die zum Beispiel entstehen, wenn aus benachteiligten Quartieren alle Schweizer Familien abwandern. Oder in der Innenstadt nur noch Reiche leben. Kurzfristig mag sich das auszahlen. Die Zeche bezahlt die nächste Generation.

Dieser Beitrag reflektiert die Meinung der Autorin / des Autors und nicht zwingend diejenige der Redaktion.

11 Responses to 'Was London mit Basel zu tun hat'

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  1. Morten Lupers said,

    August 11th, 2011, 10:39

    Ich bin mit Herrn Wiener durchaus einverstanden, nur hätte ich etwas stringentere Argumente für den mir bereits einleuchtenden Punkt erwartet. z.B. die Multinationals, die sich “diversity” auf die Fahnen schreiben, sehen in der Tat über Herkunft und Hautfarbe hinweg, aber seien wir ehrlich, die Politik ist auf bestausgebildete Fachkräfte aus aller Welt ausgerichtet, nicht speziell darauf, arme ImmigrantInnen mit wenig Schulbildung zu befähigen, oder “empowern”, wie sie sagen würden.
    Was unsere Entwicklung in Richtung Grossbritannien (oder USA) angeht, hätte man auch erwähnen können, dass der sogenante “fiskale Konservatismus” aka “Steuern sparen um jeden Preis” auch bei uns anfängt, denjenigen Perspektiven und Lebensqualität zu nehmen, die sich nicht alles privat in den Garten stellen können. Baselland baut stark ab, dabei wohnen dort doch zahlreiche BaslerInnen, die etwas besser verdienen. Das ergibt keinen Sinn. “Der Staat” braucht nunmal Geld, und ja, auch für solche, die nicht viel an Steuern beitragen können. Das ist aber im Interesse von uns allen. Durchmischung und Hilfsangebote sind die Schlüssel für eine integrierte Gesellschaft mit einer stabilen, breiten Mittelschicht, und damit für einen stabilen, sicheren Staat mit guter, breit gestreuter Bildung, der somit auch für Investitionen beste Rahmenbedingungen bietet.
    Wenn für jeder Altstadtpalast, der in Wohnungen umgebaut wird auch zwei Wohnblöcke mit günstigen Mieten erstellt würden, gerne auch direkt in ein “besseres” Quartier, helfen wir damit, die Armenghettos zu vermeiden, die in GB, Frankreich oder Amerika Menschen voneinander fern halten, die viel voneinander lernen könnten und Beziehungen knüpfen sollen. Sonst zerfallen wir als Gesellschaft in eine Masse von Einzelgängern, wo jeder nur für sich kämpfen will. Das funktioniert nunmal nicht. Wir sind alle aufeinander angewiesen.

  2. Marco Kleiner said,

    August 11th, 2011, 15:56

    Danke für die Analyse. Besser als der artikel…

  3. Hans vom Hübel said,

    August 11th, 2011, 13:50

    Das Abwandern der angesprochenen “guten Steuerzahler” ist hauptursächlich der hohen Steuerlast geschuldet. Daran ändert auch die Aufwertung des Wohnangebots nicht viel. Kommt dazu, dass diese Aufwertung zwangsläufig mit einer Verringerung des Angebots an günstigen Wohnräumen einhergeht, was letztlich auch zu Strapazen für das Budget einkommensschwacher Haushalte führt.

  4. Christian Mueller said,

    August 11th, 2011, 18:22

    Die guten Steuerzahler wandern in den Kanton BL ab? Dann sollen sie doch gehen. Es gibt genug gute Steuerzahler in Basel, die wissen, was sie an dieser Stadt haben. Die Lebensqualität & soziale Sicherheit im Kanton BL bestätigen dies.

  5. r.meier said,

    August 11th, 2011, 21:41

    stimmt so nicht ganz,baselstadt hat eine der höchsten steuern der schweiz und die höchsten sozialausgaben,gemessen an der baselstädtischen bevölkerung,auch bei den arbeitslosen gehört basel zur spitze,günstige wohnungen sind eine seltenheit,da die chemie für die ausländischen arbeitnehmer bald jeden preis zahlen,auch hat basel doch etliche reiche pauschalbesteuerte,sowie grenzgänger,die ein klein wenig an steuern bezahlen.ohne chemie,wäre basel eines der höchstverschuldensten städte in europa,so ist es,leider

  6. Thomas Rauch said,

    August 12th, 2011, 8:54

    Toll! Und ohne Banken wäre Zürich, ohne Beamte wäre Bern und ohne internationale Organisationen wäre Genf eine der höchstverschuldeten Städte in Europa. Was ist denn das für eine Argumentation?

    Haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, wieso der Kanton Basel-Stadt so viele Sozialausgaben und höhere Steuern hat? Vielleicht merken Sie ja mal, dass Basel eine Stadt ist und vergleichen andere schweizerische und europäische Städte mit Basel und nicht einen Kanton wie Schwyz oder Zug. Bin gespannt auf Ihre künftige Rückmeldung!

  7. Kurt Seiler said,

    August 12th, 2011, 10:07

    Na Na, die Stadt Zürich bietet die gleichen Dienstleistungen zu einem bedeutend kleineren Preis (Steuern) als Basel an. Als Folge dann eben explodierende Mieten.
    Sehr hohe Steuern, extrem aufgeblähter Staatsapparat und eben doch auch hohe Sozialausgaben – das ist Basel. Es Steht und fällt alles mit Novartis und Roche. Eine Diversifizierung der Wirtschaft hat Basel in den Vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft. Und da bis jetzt die Pharma ein Selbstläufer ist ,hat man es auch in Basel nicht nötig gefunden signifikant die Attraktivität zu erhöhen. Topverdiener zieht es gar nicht nach Basel, von dieser Seite entsteht eigentlich kein Druck auf den Markt. Besteht nicht die Gefahr dass genau das Gegenteil entsteht und Basel auf einer Abwärtsspirale landet? Ein Reichenghetto wird Basel nie und nimmer.

  8. Hans vom Hübel said,

    August 12th, 2011, 11:41

    Ich bin mit dem Meisten, was Sie sagen einverstanden, Kurt Seiler. Allerdings erscheint mir ein Vergleich zwischen Basel und Zürich nicht zulässig, aus dem einfachen Grund, da Zürich kein reiner Stadtkanton ist und die Stadt sich die Zentrumslasten zum Teil von den pauschalbesteuernden Goldküstengemeinden bezahlen lässt. Der Kanton Basel-Stadt ist diesbezüglich weitaus weniger privilegiert.

    Und angesichts dessen, dass in den letzten Jahren Schulden im grossen Stil abgebaut werden konnten, erscheint mir die Forderung nach Steuersenkungen bei den Natürlichen Personen nicht vermessen.

  9. Thomas Marti said,

    August 11th, 2011, 23:34

    Der Kanton Basel-Stadt hat im letzten Jahr über CHF 600 Mio. Schulden abgebaut – trotz Steuersenkungen von beinahe 15% in den letzten 10 Jahren. Das Zusammenspiel von reich und arm funktioniert in Basel. Es besteht kein Grund diese Bevölkerungsgruppen auseinander zu dividieren.Noch drei so gute Jahre und der Kanton hat keine Schulden mehr. Von dieser Entwicklung haben alle profitiert, insbesondere auch die einkommenschwachen Familien. Eine dreiköpfige Familie mit drei Kindern und einem Einkommen von CHF 65’000.- pro Jahr zahlt in Basel keine Steuern mehr und profitiert von diversen Ergänzungsleistungen. Gut so – und dank gesunder Staatsfinanzen (dank guten Steuerzahlern) hoffentlich bald noch besser. Die Spielplätze und die Grünanlagen sind bestimmt nicht das Problem, sondern die Schulen. Wer eine gute Durchmischung in Quartieren wie dem Kleinbasel will, muss bereit sein, Geld in Schulen (bessere Betreuungsverhältnisse, Fremdsprachenklassen, Begabtenförderung …) und sichere Schulwege zu investieren. Sonst ziehen die Familien, die es sich leisten können, weg, sobald die Kinder eingeschult werden.

  10. Matthias said,

    August 12th, 2011, 12:51

    Und genau da haben wir ebenfalls eine Spirale. Verstehen Sie mich richtig, ich mache hier keinen Individuen einen Vorwurf, welche lücken bei der staatlichen Regelung (aus)nutzen, ich mache der Politik den Vorwurf. Fakt ist, dass Kinder aus Kinderreichen sozialschwachen Familien mit und ohne Migrationshintergrund in unserer Leistungsgesellschaft die denkbar schlechtesten Karten haben. Mit unserem Sozialsystem, welches nach wie vor viel zu monetär angelegt ist, fördern wir geradezu, dass alle zwei Jahre ein neues Kind das Licht der Welt mit schlechteren Karten erblickt, oder sind Sie der Meinung, die Unterstützungsgelder für das Kind gingen jeweils zu 100% an dasselbige? Es darf ganz einfach nicht sein, dass es sich gerade bei tiefen Einkommen nicht mehr lohnt, arbeiten zu gehen. Die Schere zwischen arm und reich geht immer weiter auf. Unsere Gesellschaft überaltert und die wenigen jungen Nachzügler, welche überhaupt noch aktiv einen finanziellen Beitrag ans Gemeinwohl leisten können, verdienen im Durchschnitt immer weniger / bringen was den Steuersatz anbelangt immer weniger. Die 2 Klassengesellschaft ist längst Realität, das Verhältnis längst jenseits vom Tragbaren. Solidarität auf monetärer Ebene kann sich nur eine Luxusgesellschaft leisten. Dabei erziehen und schaffen wir Abhängigkeiten, statt den Menschen die Möglichkeit zu geben, Ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. So lange wir zulassen, dass Sozialämter selbst bereits angelaufene Weiterbildungen stoppen. So lange wir wegschauen, wenn gegen bares Scheinehen verkauft werden, so lange wir zulassen, dass hier jedermann wiederhohlt Verlustscheine in den hunderttausenden haben kann und tags darauf das gleiche Geschäft unter neuem Namen wiedereröffnen kann. So lange wir ein Leben auf Pump, Schulden als banal und kritikloses sozial sein jenseits der Vernunft fördern, so lange wird es mit uns weiter abwärts gehen. Das Ghetto haben wir bereits, fragen Sie Mal diejenigen, die hinschauen müssen.

  11. Peter Waldner said,

    August 12th, 2011, 12:49

    Daniel Wiener vergisst, dass es schon ein Erfolg wäre, wenn man den Trend der “Auswanderung” von sogenannt “guten Steuerzahlern” aufhalten kann. Seine Angst, dass es für die “ärmeren Menschen” und deren Kinder keinen Platz mehr haben könnte, ist Unsinn. Tatsache ist, dass die Mittelstand-Familien (denn “gute Steuerzahler” sind nicht zwangsläufig die so beneideten “Reichen”, sondern in erster Linie der Mittelstand!) – dass also diese Mittelstand-Familien keinen Platz mehr für ihre Kinder finden. Platz, wo ihre Kinder in einer Umgebung aufwachsen dürfen, in der “unsere” Werte noch zählen; “unsere” Moral die Leitlinie bildet und unsere lebendige Sprache die Basis der Kommunikation bildet. Und nicht der billige Kompromiss aus vielen unterschiedlichen Wertvorstellungen aus aller Welt, wenngleich diese – jede für sich – durchaus ok wäre; bloss nicht immer hier.

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