Seid doch endlich ehrlich!

Posted on May 3rd, 2012, May 3rd, 2012 in Uncategorized.

Die Gesundheitspolitiker finden die Pharmapreise zu hoch, die Industrie verteidigt sie. Nun profiliert sich Innenminister Alain Berset mit hartem Durchgreifen gegen die Pillendreher. Er hat die Krankenkassenprämien im Visier. Novartis, Roche & Co. argumentieren: Die hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung rechtfertigten die Preise.

Im Kampf von Bundesrat Alain Berset gegen die Pharmaindustrie um tiefere Arzneimittelpreise drücken sich alle um die unbequeme Wahrheit. Von mehr Ehrlichkeit auf allen Seiten würden sowohl der bedrängte Wirtschaftszweig als auch die Kunden der Krankenkassen profitieren. (Bild: Keystone)

Welche Seite hat Recht? Keine von beiden. Das wichtigste Argument bleibt unausgesprochen, weil es im Ausland Anstoss erregen würde. Seid doch mal ehrlich: Es geht in erster Linie um die Exporte der Pharmaindustrie, die unter tieferen Inland-Preisen leiden würden. Wie das?

Medikamentenpreise haben mit den technischen Herstellungskosten der einzelnen Packung wenig zu tun. Sie sind künstlich festgelegt. Ins Kalkül fliessen die Forschungs- und Vertriebsausgaben ein, vor allem aber die Marktverhältnisse: Wenn es kein anderes Arzneimittel gibt, das die gleiche Wirkung entfaltet, dann ist eine Impfung oder Pille teuer. Wenn Konkurrenz herrscht, dann kommen die Preise herunter. Die Investitionen müssen nicht pro Medikament, sondern insgesamt wieder zurückfliessen.

Es lohnt sich aus finanziellen Gründen, Medikamente in der Schweiz zu produzieren oder mindestens zu konfektionieren (das heisst abzufüllen, einzuschweissen, zum Verkauf bereit zu stellen). So fällt die grösste Wertvermehrung – vom oft billigen Rohstoff bis zum Verkaufspreis ab Fabrik – in der Schweiz an und somit in einem Tiefsteuerland.

Die Schweizer Pharma-Firmen verkaufen nach eigenen Angaben nur zwei Prozent ihrer Produktion im Inland. Würden sie ihre lokalen Preise um ein Fünftel senken, verlören sie lediglich ein Fünftel von zwei Prozent, also 0,4 Prozent ihres Umsatzes. Halb so schlimm. Schmerzhaft wären jedoch die Auswirkungen auf die Exporte: Keine Regierung akzeptiert Preise, die deutlich höher liegen als im Herkunftsland eines Medikaments. Preissenkungen im Inland würden deshalb auch jene 98 Prozent der Medikamente treffen, die unser Land verlassen: Die Umsatzeinbusse läge dann 20 Mal höher – bei einem Fünftel des Gesamtumsatzes.

Fazit: Eine Preissenkung im Inland würde zwar die Fieberkurve der Krankenkassenprämien leicht dämpfen, als Nebenwirkung jedoch die Gesundheit der Schweizer Pharmaindustrie gefährden. Operation gelungen – Patient gestorben. Die elegante Alternative: Die Schweizer Pharmaindustrie könnte ihre Preise im Inland (und somit auch im Ausland) frei gestalten. Im Gegenzug würde sie Direktzahlungen von 240 Millionen Franken an die Krankenkassen leisten. Um diesen Betrag will Bundesrat Berset die Medikamentenpreise senken. 240 Millionen sind 0,5 Prozent der Pharma-Exporterlöse. Unter dem Strich käme das für alle günstiger als eine Preissenkung der Arzneien. Und die Exportwirtschaft florierte weiter.

Dieser Beitrag reflektiert die Meinung der Autorin / des Autors und nicht zwingend diejenige der Redaktion.

10 Responses to 'Seid doch endlich ehrlich!'

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  1. Manuel Braun said,

    May 3rd, 2012, 11:12

    Irgendwie kann ich dem nicht gamz folgen: Wir importieren doch auch alle möglichen Dinge, etwa aus China, die hier wohl mehr kosten, als wenn sie dort gekauft würden.

    Was nützt es, wenn die Preise frei festgelegt werden können, dafür aber einmal 240 Mio in die andere Richtung gezahlt werden? Dann werden diese 240 Mio halt in die freien Preise miteingerechnet und es ist ein Nullsummenspiel.

  2. Markus Niederberger said,

    May 3rd, 2012, 11:21

    Sie wollen uns aber nicht ernsthaft weismachen, dass die Medikamente im Ausland zu den gleichen exorbitanten Preisen verhökert werden wie in der Schweiz? Das dürfte in den wenigsten Fällen der Fall sein. Wurden nicht schon Verhältnisse von bis zu 20:1 herumgeboten? ((Endverbraucher-)Preis hier zu Preis im Ausland.)

  3. Hannes Estermann said,

    May 3rd, 2012, 16:25

    @ kann Ihnen aus berufenem Munde beipflichten.Ein Onkel seitens der Gattin besitzt in Rom mehrere Apotheken,er sagte erst vor kurzem zum wiederholten mal ,er könne die total überrissenen Preise i.d.Schweiz nicht vollziehen.
    Er war selber einige Jahre als junger Pharmazeut in Genf tätig.

  4. i.j. said,

    May 3rd, 2012, 12:35

    Guter Artikel. Allerdings ist die Argumentation nicht sehr genau genommen. Hierzu zwei Punkte:

    – Erstens ist nicht mal der Pharmabranche selbst klar, wie stark ausländische Medikamentenpreise wirklich durch Schweizer Medikamentenpreise beeinflusst werden. Ich kenne kein einziges konkretes Beispiel eines Landes, das das Schweizer Preisniveau explizit in die eigene Preissetzung einbezieht. Es kann sein, dass dies vereinzelt trotzdem passiert. Was mit Sicherheit jedoch nicht richtig ist, ist, dass sich alle ausländischen Preisregulierungsbehörden ausschliesslich auf die Schweizer Spezialitätenliste stützen würden und nur so wäre der von Ihnen skizzierte zwanzigprozentige weltweite Umsatzrückgang bei gleichem Schweizer Umsatzrückgang erklärbar.

    – Zweitens würden ausländische Preisregulierungsbehörden, würden sie tatsächlich Schweizer Medipreise in Ihre Preissetzungsüberlegungen mit einbeziehen, den gleichen Wechselkurs benützen, wie auch das BAG für seinen Auslandpreisvergleich. Nämlich den nominalen. Somit würde nicht, wie Sie schreiben, ein Umsatzrückgang eintreten im Ausland, sondern lediglich keine Umsatzsteigerung.

  5. Ronnie König said,

    May 3rd, 2012, 13:03

    Klingt irgendwie einleuchtend. Die 240 Mio. direkt an die KK. Zweckgebunden. Sonst wird das Geld nur falsch ausgegeben. Also die Preise bleiben oder steigen gar und wir profitieren trotzdem? Nicht ganz, denn die Auslagerungen dieser Industrie nehmen trotzdem zu. Aber vorerst profitieren wir noch ein wenig, wenn auch auf Umwegen manchmal. Und auch die Zuwanderung nimmt dadurch noch ein wenig zu. In Zukunft werden wir wohl das dicke Ei haben. Das sagt keiner, weil keiner die Zukunft kennt, aber damit ist erfahrungsgemäss zu rechnen. Und dann? Dann haben viele eh kein Geld mehr und die Diskussion hat sich da wohl auch fast erledigt. Also bleiben wir vorerst noch bei der Endzeitabzocke. Und sehen dann weiter. So tickt unser Land. Gut wer sich um Prävention gekümmert hat und Grossmutterskräuter kennt. Die KK-Prämien können nicht ewigs ohne Konsequenzen steigen. Das weiss jeder. Auch Pharma. Also wird es mit 240 Mio. Direktzahlung beginnen ohne dass wirklich ein Problem gelöst wird. Die Lösung gibt es auf diesem Markt nie, denn es geht nicht nur um enorm viel Geld, sondern auch um Emotion und wir sind alle davon betroffen. Ich habe das Gegenteil davon in der 3.Welt erlebt. Damit ist auch niemand zufrieden. Und Pharma schräubelt so lange es halt geht.

  6. Anh Toan said,

    May 3rd, 2012, 13:38

    Gesundheitskosten Schweiz insgesamt etwa 50++ Milliarden, 240 Millionen Einsparungen sind knapp 0.5%: Bitte nicht alles aufs mal ausgeben, was die Krankenkasse dann billiger wird.

    Ein reines Ablenkungsmanöver von den wirklichen Problemen im Gesundheitswesen.

  7. i.j. said,

    May 3rd, 2012, 15:33

    so unwesentlich ist das nicht: stimmt schon, im Vergleich zum ganzen gesundheitswesen (50 Mia) ist das nicht viel, aber die OKP-Kosten sind schon mal nur die Hälfte (25 Mia), die OKP Kosten für Medikamente sind dann nur ein Fünftel davon (5 Mia) und auf Ebene der Fabrikabgabe sind es dann nur noch 3.9 Milliarden. Jetzt sind die 240 Millionen ja auch nur auf einen Drittel dieser Menge bezogen, da jährlich immer nur ein Drittel der Sl-Medis überprüft wird. Somit stehen die 240 Millionen in Tat und Wahrheit in Relation 1.3 Milliarden. Also massive Einsparungen, die die Pharma dem Prämienzahler vorenthalten will.

  8. Anh Toan said,

    May 6th, 2012, 12:05

    @i.J. Sie haben Recht, bezogen auf die KK Prämien sind es eher ein als ein halbes Prozent. Wow! Sie haben auch Recht, dass eine Senkung des Verkaufspreises der Pharmaindustrie eine grösssere Ersparnis beim Endkonsumenten bringt, da damit z.B. auch Apothekererträge reduziert werden, falls diese nicht einfach Margenerhöhungen durchsetzen, mit dem Argument, sie hätten gleich viel Aufwand, ob sie ein Medikament für CHF 5 oder 4 verkaufen. Diese zusätzlichen Ersparnisse gibt es sicher nicht für die im Artikel vorgeschlagene “elegante Alternative”. Aus einer Direktzahlung von 240 Mio werden nicht auf wundersame Weise 1.3 Mia. Meinen Kommentar habe ich auf diese “elegante Alternative” bezogen.

  9. Gautier Irgendwo said,

    May 3rd, 2012, 15:42

    In der Politik taucht plötzlich ein ganz neuer, allerdings noch etwas gewöhnungsbedürftiger Ausdruck, ehrlich, auf?

  10. josi said,

    May 4th, 2012, 17:29

    Gibt es denn ein Land auf dieser Welt, wo die Medikamentenpreise höher sind als in der Schweiz?
    Kleines Beispiel: Nasenspray OTRIVIN Mentol kostet in Konstanz. € 5.00 in der Schweiz Fr. 12.80 .
    Aber wir dürfen uns nicht ablenken lassen, Medikamente sind nur ein kleiner Teil der Gesundheitskosten. Geht man heute zu einem Spezialarzt zB. Zu einer Nachkontrolle, kosten 15 Minuten gut und gerne Fr. 200.– und darüber. Das ist ein Stundensatz von mindestens Fr. 800.– . Das übersteigt alle Honoraransätze in der Privatwirtschaft. Den Patienten ist das aber schnurz egal, die Kasse bezahlt ja. Im Gegenteil ein hoher Stundenansatz unterstreicht faktisch die Qualität des Arztes. Das Gesundheitswesen hat sich zu einem unbezahlbaren Selbstbedienungsladen entwickelt. Beim heutigen System ist das aber normal, denn nehmen ist seliger als geben. Konkurrenz belebt das Geschäft, aber wo bleibt im GESUNDHEITSWESEN die Konkurrenz?

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