Weshalb guter Journalismus links ist

Posted on May 10th, 2012, May 10th, 2012 in Uncategorized.

Markus Somm pflegt das Klischee von den linken Journalisten. Er tut dies nicht ganz zu Unrecht, wie ich gleich erläutern werde. Doch seine Begründung verfängt nicht. In einem ausführlichen Artikel dieses Blattes (BaZ vom 25. April 2012) zeichnete der Chefredaktor ein Zerrbild seiner Zunft. Er beschrieb sie als eine Schar Dilettanten in allen Fachgebieten und verbissene Volksverführer.

Guter Journalismus orientiert sich an traditionell linken Werten: Demokratie, Meinungsfreiheit, Transparenz und Schutz der Minderheiten. Damit sorgt die Publizistik für ausgleichende Gerechtigkeit in der öffentlichen Meinungsbildung. (Bild: Keystone)

Seine These exemplifizierte der Guisan- und Blocher-Biograph an der historischen Figur Friedrich Locher. Dieser «Doktor der Rechte» und «glänzende Autor» habe im 19. Jahrhundert durch giftige und klassenkämpferische Polemiken den Niedergang des Zürcher Industriellen und Tatmenschen Alfred Escher eingeleitet. Fazit von Somms Ausführungen: «Keine Berufsgruppe neigt noch heute in so überwiegendem Masse der Linken zu (…) Liberal sind die Journalisten bloss im Ausnahmefall.»

Natürlich ist ein solches Urteil auch vom Standpunkt des Kommentators geprägt: Wer rechts steht, sieht automatisch die Mehrheit links. Doch ist in der Publizistik – und das mag manche überraschen – die linke Perspektive in erster Linie ein Qualitätsmerkmal.

Den Entrechteten leiht die Publizistin ihre Stimme. Dies entspricht dem journalistischen Ethos. «Die da oben» haben eigene Megaphone. So sah das letzte Woche auf dem Kultursender DRS2 auch Heribert Prantl, Inland- und Ausbildungschef der liberalen «Süddeutschen Zeitung». Guter Journalismus, bestätigte er, orientiere sich an traditionell linken Leitideen: Demokratie, Meinungsfreiheit, Transparenz und Schutz der Minderheiten.

Ist das ein Unglück? Wahrscheinlich nicht. Medienleute sollten unabhängig sein von den Mächtigen in Wirtschaft und Staat. Das versetzt sie in die Lage, unangenehme Fragen zu stellen, Missstände zu enthüllen, Zusammenhänge aufzuzeigen, Fakten einzuordnen und zu gewichten, und zwar ausschliesslich im Dienst der Öffentlichkeit. Der «Blick von unten» ist ihre Berufung und Profession. Deshalb sind die Medien auch als «vierte Gewalt» gefürchtet – und geschätzt.

Während sich an Kapital und Einkommensmaximierung orientierte Studienabgänger eher für eine Manager-Karriere entscheiden, gehen Idealisten, die die Welt verändern wollen, in den Journalismus. Dieser ist – nahe an der Schriftstellerei – oft brotlos und riskant. Mancher Medienmensch ist allerdings in seiner Laufbahn auf den Geschmack gekommen und hat sich ausserhalb des Journalismus hochgedient, ist beispielsweise Mediensprecher eines Konzerns geworden. Und aus dieser Warte sieht die Welt dann oft ganz anders aus.

Dieser Beitrag reflektiert die Meinung der Autorin / des Autors und nicht zwingend diejenige der Redaktion.

12 Responses to 'Weshalb guter Journalismus links ist'

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  1. Karl von Bruk said,

    May 10th, 2012, 10:15

    Nicht nur in China, Nordkorea und Kuba beschraenkt sich der Journalismus auf den “Schutz” der auslaendischen Mehrheiten; waehrend beim Totschweigen der eigenen brutalst diskriminierten Buerger (von Verdingkindsklaven ueber Vesicherungs- bis hin zu Apartheidopfern) nach der Pfeife der Politdespoten oder der Verleger und Grossinserenten getanzt wird. Beim explodierten TA-Gewinn waere interessant zu erfahren, wieviel die Versicherungs- und Autonebengewerbegaengs an die redaktionell “beruhigenden” Inserateneinnahmen beitrugen….

  2. Martin Fischer said,

    May 10th, 2012, 10:36

    Aus dieser Posse ist klar ersichtlich, warum Journalisten links sein müssen. Sie sind die Intellighenzia der Entrechteten. Also für solche, die keine Rechte haben – da sollen sie mindestens die Linke geschenkt bekommen. Oder wie kommt jetzt das ‘gut’ in diesen Vergleich? Gut ist, was gut tut. Vor allem der Intellighenzia, die sich gerne darbend und leidend am linken Rand des Existenzminimumsaufhält. Also auf jeden Fall auf der richtigen Seite. Tinkerthank sei dank.

  3. Linus Reichlin said,

    May 10th, 2012, 10:37

    Links ist heute nicht mehr der “Blick von unten” sondern der Blick aus der Mitte der Gesellschaft, aus dem Mainstream, dem neuen Bürgertum. Linker Journalismus kann gesellschaftliche Fehlentwicklungen gar nicht mehr wahrnehmen, denn er produziert sie selber mit.

  4. John Peer said,

    May 10th, 2012, 10:54

    Sehr gute Beobachtung.
    Zudem würde ich abstreiten, dass Transparenz, Meinungsfreiheit und Minderheitenschutz per se “linke” Anliegen sind. Echte Liberale (wie es sie kaum noch gibt in der Schweiz – in Deutschland gibt es immerhin Schäffler und Co. und eine nicht zu unterschätzende libertäre Bewegung) vertreten diese Anliegen noch viel klarer und konsequenter. Nicht vergessen, die kleinste Minderheit ist das Individuum.

  5. Albert W. said,

    May 10th, 2012, 11:28

    Herr Wiener formuliert einen Zusammenhang ethischer Werte und politischer (Links-/Rechts-) Schemata. Genauer: er gliedert ethische Werte in politische Schemata ein. Dabei handelt es sich bei der Frage: “Ethik vs. Politik – Obermenge vs. Teil-/Unter-menge” um das zentrale Problem; nicht nur bei der Kategorisierung von Journalisten. Die Auffassung, Ethik sei eine Teil- oder gar Untermenge der Politik, scheint sich dabei durchgesetzt zu haben. Unter Einbezug von “Wirtschaft” als weiterem Wertesystem, ergeben sich folgende Kategorisierungsmodelle: gleichwertig /parallel vs. hierarchisch. Also: “Ethik” / “Politik” / “Wirtschaft” oder: “Wirtschaft” ist Untermenge von “Politik” ist Untermenge von “Ethik”. Es ist jedem selber überlassen, seinen Standpunkt in diesen Kategorien, Modellen, Systemen und Schemata zu finden. Als Idealist würde ich von Journalisten jedoch erwarten, dass sie “Ethik” über “Politik” und “Wirtschaft” stellen und sich somit einer politischen Zu- und Einordnung entziehen.

  6. Anh Toan said,

    May 10th, 2012, 14:14

    Was ist guter Journalismus? Ein Artikel der meiner Meinung entspricht, oder ein Artikel, der eine “gute” Meinung unterstützt? Ist Aufgabe des Journalisten die Welt zu verbessern? Ich meine, er soll berichten.

    Was ist “Links”? Wirklich Linke bezeichnen die SP als Bourgoisie, Sie vertritt das Kleinbürger- und Beamtentum, wo bitte gibt es in der Schweiz linken Journalismus ausser in der WOZ?

  7. Karl von Bruk said,

    May 11th, 2012, 7:50

    Er soll nicht nur berichten, aber in Rechtsstaaten (objektives) Berichten und Propaganda (Kommentare) scharf trennen. Letztere muss in Rechtsstaaten der Foerderung der Grundrechte und nicht deren Keulung (zB Apartheid der Nazis, der Buren und der Schweizer Einwanderungs- und Familiengestapo) dienen….

  8. Anh Toan said,

    May 12th, 2012, 7:29

    “Der «Blick von unten» ist ihre Berufung und Profession.”

    Hat da die NZZ überhaupt eine Daseinsberechtigung? Sind NZZ oder Finanz- und Wirtschaftsjournalisten schlechte Journalisten? Dürfen Misstände wie Sozialbetrug nicht aufgedeckt werden?

    Bsp. Obama hat von einem Fall von “responsible homeowners” gesprochen die “underwater” sein sollen, und nun mit staatlicher Hilfe neu finanzieren konnten: Die Journalisten haben recherchiert, herausgefunden, dass das Haus vor etwa 15 Jahren für 127 KUSD mit einer 127 KUSD Hypothek gekauft wurde. Vor fünf Jahren wurde die Hypo auf KUSD 180 erhöht, das Geld wurde ausgegeben. Wie schlecht ist Journalismus, der solches recherchiert und darüber berichtet!

  9. Anh Toan said,

    May 12th, 2012, 9:08

    Die Quelle zur Story der “responsible homeowners” Keller: http://www.cnbc.com/id/47391193

    Ist es schlechter Journalismus, wenn von der Obama Admin ausgesuchte “responsible homeowners” hinterfragt werden? Sowas wird doch nur von “neoliberalen” Journalisten in “neoliberalen” Medien (NZZ, WSJ, FUW, Bloomberg, CNBC) aufgedeckt.

    Klar brauchen Journalisten ein Interesse an den Fakten, sonst wird Zeitung so langweilig wie ein Newsticker, ein Journalist darf mir beim Berichten durchaus erzählen, was ihn an den Fakten interessiert, ob er dies aus einer “linken” oder “rechten” Perspektive macht, ist irrelevant zur Beurteilung der Qualität. (Die Diskussion im Deadline Blog zu narrativem Journalismus ist stellenweise sehr interessant.)

    Gemäss Herrn Wiener steht die Mehrheit der Journalisten links, ist üblich bei Intellellen, die sich im Kern dadurch auszeichnen, nicht zu arbeiten (Netter Tiefschlag, nicht?). Dumme Ideen hat jeder, die Intellellen lassen sich dafür bezahlen (Noch einer). Ist nun die Mehrheit der Journalisten links, ist linker Journalismus logischerweise Mainstream Journalismus. Wie in der Kunst findet sich im Mainstream vor allem viel Müll, während wirkliche Qualität, Innovation in den Nischen entsteht. Rechter Journalismus wäre eine solche Nische, in welcher sich eher Qualität finden liesse, als im Mainstream.

    (In den Achtzigern las ich als Basler, der sehr links dachte, bevorzugt die NZZ)

  10. Karl von Bruk said,

    May 13th, 2012, 13:18

    Politisches oder juristisches Schreiben ist – abgesehen vom unkritischen Kopieren von CNN oder indigenem Lobistenbrunz fuer Partikularinteressen – geistige Schwerstarbeit. Insbesondere wenn in buchlangen Begruendungen zu entschuldigen versucht wird, weshalb Grundrechte, Verfassung, ratifizierte Abkommen und Gesetze gebeugt und gebrochen statt ihnen gedient wird. Deshalb retten sich viele Juristen so jung wie moeglich auf Richter- oder Polizeioffizierstrone, wo sie sich (auf letzteren von Sachkenntnis kaum getruebt) mit willkuerlichem Labern begnuegen koennen.

    Unabhaengige Journalisten, die nicht Politponzen oder Verlegern und Grossinserenten verpflichtet sind, haben den Vorteil, dass bei der Wahrheit die Wuerze in der Kuerze liegt. Kurze, den Kern der Problems treffende Artikel ohne ebenso langweilige wie ueberfluessige Weitschweifigkeiten erfordern hoechste Konzentration, aber nur waehrend relativ kurzer Zeit. Je kuerzer und traefer ein Artikel oder Kommentar, umso mehr wird er gelesen….

  11. Lubos Jedlicka said,

    May 15th, 2012, 16:22

    Lieber Herr Wiener,
    Sie haben wieder voll angebissen! Gerade Sie, der sich perfekt mit dem angesprochenen Dilettanten in allen Fachgebieten deckt, wollen Sie Herrn Somm verunglimpfen, der als promovierter Politik- und Historikerwissenschaftler sich nur auf sein gut erlerntes Gebiet beschränkt. Es ist hart zu glauben, sie sind so blind.
    Da ich Herrn Somm intellektuell hoch einschätze, will er sich bei der linken Kolumne auf der Seite 13 wohl etwas gedacht haben. Er hatte dort vielleicht alle die unabweisbaren Störenfriede versammelt, auf dass sie dort die Ausgewogenheit der BaZ repräsentieren! Herr Frenkel als belanglose Nervensäge, Helmi Hubacher als das Gewissen von Gestern, Dani Vischer als langweilige Drittausgabe von seinem exzellenten Papa Frank, Herr Wiener als Besserwisser in allen Lebenslagen mit romantischer Anlage usw. Rein zufällig (?) ist rechts von dieser Alibispalte oft die „carte blanche“ meist mit wertvollen Berichten, die dem linken Journalismus zuwider schreiben. Ein Zufall, oder macht da der verschmitzte Herr Somm ein paar ehrgeizige Simpel zu Narren?
    Herr Wiener, nur weiter so, damit die BaZ, anders als früher, den Andersdenkenden eine Plattform bietet, mit der Einsicht, der Leser wird sich das schon zurechtrücken!
    Hochachtungsvoll
    Ihr Lubos Jedlicka

  12. Cornelis Bockemühl said,

    May 22nd, 2012, 13:59

    Demokratie, Meinungsfreiheit, Transparenz und Schutz der Minderheiten sind für mich nicht “linke” Anliegen! So etwas zu meinen habe ich schon zu Zeiten der “68-er” nicht verstanden – und ich verstehe es noch heute nicht: siehe all die schönen “linken” Ex-Regimes in Osteuropa.

    Vielmehr sind sie doch ur-liberale Themen! Allerdings “liberal” dann nicht im Sinn von Blocher, Somm & Co, sondern im ursprünglichen Sinn des Wortes: Kampf für die Freiheitsrechte des einzelnen Menschen, wo Meinungsfreiheit, Mitbestimmung, Transparenz usw. an erster Stelle kommen – lange vor dem Recht auf Privateigentum usw..

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