Einfach leben

Posted on July 5th, 2012, July 5th, 2012 in Uncategorized.

Der Sommer ist die Zeit des leichten Seins. Vieles, das wir haben, ist aus dem Auge, aus dem Sinn: Mäntel, Handschuhe, Skis, Schneeschaufeln, Heizungen, Konserven, Glühwein – Ballast. Aber nötig sind die warmen Sachen und deshalb sorgfältig verstaut. Denn – ob wir’s wahr haben wollen, oder nicht – der Winter kommt wieder. Ein gutes Leben sorgt vor. Sonst beschleicht uns die Angst vor der Zukunft.

Wenn Geist über Geld steht, sind die Voraussetzungen gut, dass wir Ideen, Initiativen und Lebensformen entwickeln, die zukunftsfähig sind. Basel hat die ideale Grösse, um das Leben zu vereinfachen. (Bild: Keystone)

Ob Sommers oder Winters, wir brauchen Dinge. Und da alle Menschen aus dem gleichen Holz geschnitzt sind, ist ihr materieller Bedarf auch ähnlich, könnte man meinen. Stimmt so nicht: Es gibt beispielsweise Leute mit zwei grossen Autos und solche ohne. Manche haben das Gefühl, sie müssten jährlich einmal das Meer sehen – andere kommen nicht ohne Berge aus. Er trägt immer blau, aber nie orange – sie hält es umgekehrt. Es gibt Abba-Aficionados und Beethoven-Bewunderer, und aus diesem Grund DRS1, DRS2 und viele weitere Sender mehr. Wir leben in einer Gesellschaft mit vielfältigen Bedürfnissen und Wahlmöglichkeiten.

Was nach einer banalen Aufzählung tönt, trifft den Kern der Debatte, die wir gerade am Weltrettungsgipfel Rio+20 erlebt haben. Die armen Länder sagten: «Unsere Bevölkerung hat viele Bedürfnisse und wenige Wahlmöglichkeiten. Wir wollen die Ausweitung unserer Optionen nicht bremsen, nur weil es der Umwelt schlecht geht. Zuerst sollen die reichen Länder ihre Wahlfreiheit einschränken, dann folgen wir ihnen.» Das lehnen die Politiker der reichen Länder ab, da sie sonst abgewählt würden. Als Alternative bieten sie die «grüne Wirtschaft» an: In einer effizienten Güterproduktion sowie in einem sparsamen Ressourcenverbrauch sehen sie den Ausweg.

Wohin geht die Reise? Erstens müssen wir anerkennen, dass es unterschiedliche Bedürfnisse gibt. Nicht alle brauchen gleich viel. Aber generell ist es wohl weise, sich auf weniger einzustellen, vor allem auf einen tieferen Material- und Energieverbrauch. Worauf sollen wir verzichten? Die Kunst besteht darin, mehr immaterielle Wahlmöglichkeiten zu schaffen und diesen den gleichen Wert beizumessen wie dem Dinglichen.

Hier liegt Basels Zukunft. Unsere Stadt hat alle Möglichkeiten und das intellektuelle Potenzial zum Lebensgenuss mit weniger Geld und Material. Das pietistisch-protestantische Erbe Basels begünstigt das Sparen. Unsere humanistische Tradition inspiriert uns zum sozialen Ausgleich, aber auch zur Freude an der Debatte, an Kunst und Wissenschaft. Konsum und materieller Besitz stehen als Statussymbole seltener als anderswo im Vordergrund.

Wenn Geist über Geld steht, sind die Voraussetzungen gut, dass wir Ideen, Initiativen und Lebensformen entwickeln, die zukunftsfähig sind und den gordischen Knoten von Rio+20 durchtrennen helfen. Basel ist eine Stadt der kurzen Wege. Abwechslung ist leicht, auch dank der Grenznähe. Das Kulturleben und die Bibliotheken, der öffentliche Verkehr und die Spielplätze sind von hoher Qualität. Wo denn, als hier, lässt’s sich einfacher leben?

Dieser Beitrag reflektiert die Meinung der Autorin / des Autors und nicht zwingend diejenige der Redaktion.

6 Responses to 'Einfach leben'

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  1. Daniel Seiler said,

    July 5th, 2012, 11:06

    Na ja Herr Wiener; wenn Sie und Konsorten nicht immer einfach auf die Autos eindreschen würden, dann könnte sich in der Tat vielleicht einmal ein Dialog entwickeln… Leben und Leben lassen!

  2. Marc Leber, Rheinfelden said,

    July 5th, 2012, 11:16

    Es hätte treffender nicht formuliert werden können. Ich kann Daniel Wiener nur beipflichten. Belegt wird dies u.a. auch durch den Umstand, dass viele meiner Studienkollegen oftmals wieder zurückgekommen sind und nun immernoch oder wieder in bzw. um unsere tolle Stadt wohnen. Wie, wenn nicht als Liebe, muss das bezeichnet werden?

  3. Jürg Tanner said,

    July 5th, 2012, 12:01

    Schöne Predigt. Zum zweitletzen Abschnitt: Diese “Basis” ist aber derart verdünnt, das Sie nur noch in homeopathischer Dosierung registriert werden kann. (Lassen sich überhaupt alle Begriffe übersetzen?. OK, lassen wir das). Falls Sie Ihre Vision ohne legalisierten Diebstahl hinkriegen, warum nicht? Übrigens, es geht schon heute, jedoch muss man sich aus eigener Kraft, aus den diversen Süchten freikämfen und halten. Damit fällt man nicht nur positiv auf. Ein Beispiel: der CO2-Zielwert 130 g/km, treibt wohl den DS-Treibstoffverbrauch (für PKW) unter 5 L/hkm. Damit verringert sich auch das Geldvolumen für alle Quersubventionen. Leuthard weibelt schon. Praktisch müssten Sie schon jetzt für genügend (be/überwachte) Veloparkplätze sorgen. Damit würden Sie dann EINE Grundlage schaffen.

  4. Basil Gelpke said,

    July 5th, 2012, 14:33

    Nun ja, das hat schon was und es ist schön zu hören, meine Heimatstadt existiere irgendwie in einer immateriellen und besseren Parallelwelt. Vielleicht ist es die Nähe zu Dornach, diesem Kraftort feinstofflicher Gesinnung?
    Die protestantisch lebenstüchtige und sehr materielle Prägung durch Johannes Oekolompad und die Hugenotten und andere durchaus merkantil orientierte Einwanderer aus früheren Jahrhunderten hat nun aber eine sehr gute Basis dafür geschaffen, dass man in Basel über die Fixierung Ausser-Basels auf den schnöden Mammon herabsehen kann. Denn in Basel gilt: Man hat es, redet aber nicht darüber, d.h, man hat es eigentlich fast gar nicht, nur ein bisschen und jedenfalls tut man so als hätte man es nicht und lebt gut protestantisch auch so, als hätte man es nicht…
    Schliesslich ist Geld immer etwas peinlich und man ist ja kein neureicher Unternehmerproll. Man gründet Stiftungen, notfalls gar politisch korrekte Zeitungen, stiftet Museen und lässt sich beim individuellen Geldausgeben nach Möglichkeit nicht auf heimischem Boden erwischen. Oeffentlich auftretende Mäzene sind tendenziell eingeheiratet.
    Das ist alles wunderbar, irgendwie liebenswert und auch liebenswert skurril (vorallem aus etwas räumlichem Abstand betrachtet) und im guten Sinne durchaus beneidenswert, es begründet aber weder eine moralische Ueberlegenheit, noch kann es als nachahmenswertes Modell dienen, denn es baut auf der Aufbauarbeit vieler und kaufmännisch überaus tüchtiger Generationen auf. Die bescheiden-sparsam abfalltrennende Haltung auf dem hohen Ross der moralischen Ueberlegenheit, ja die muss man sich nun wirklich leisten können und so gesehen ist sie äusserst elitär. Wir können nur hoffen, diese etwas unzeitgemäss Reitstellung bleibe zumindest für das Biotop Basel-Stadt nachhaltig – um noch ein vielstrapaziertes Modewort zu gebrauchen, dessen Verwendung meist auch bei Skeptikern für ernsthaftes Nicken sorgt und von dem ich mir die nachhaltige Zustimmung der geneigten Leserschaft erhoffe.

  5. Kurt Seiler said,

    July 5th, 2012, 14:33

    Aber aber Herr Wiener.
    Sie meinen doch nicht etwa staatlich verordnetes einfaches leben?

  6. Hans Kummer said,

    July 6th, 2012, 3:43

    Wie erklaere ich diese edlen Gedanken meinen asiatischen Mitbuergern, die noch nie konsumgenerierte Langeweile erlebt haben? Zur Zeit werden hier Milliarden von Menschen auf Verbrauch getrimmt, denn nur der foerdert das BSP.

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